Liparische Inseln
Sieben Juwelen im tyrrhenischen Meer https://www.planet-wissen.de/kultur/suedeuropa/sizilien_insel_zwischen_orient_und_okzident/pwieliparischeinseln100.html. Lange schon hat mich diese kleine Inselgruppe fasziniert. Nach der Pandemie und anderen Stolpersteinen hat es nun endlich geklappt. Die individuelle Planung einer Wandertour ist nicht ganz ohne. Schiffsüberfahrten sind in der Zwischensaison rar, Wanderwege nur teilweise markiert, das Kartenmaterial ungenau. So leiste ich mir den Luxus einer geführten Wandertour mit gemietetem Ausflugsbötchen, einer versierten Wanderleiterin mit viel Kenntnis der Inseln und Schlemmereien an jedem einzelnen Abend in lokalen Restaurants. Das Ergebnis von Letzterem liegt nun auf den Hüften 😉 https://www.berg-welt.ch/wandern/italien/liparische-inseln (unbezahlte, ungefragte Werbung). Wie immer berichte ich von meinen Eindrücken, Interessen und Gedanken und nicht von den exakten Wanderrouten.
Äolische Inseln werden die Liparen auch genannt (italienisch: Isole Eolie). Namensgeber ist Äolus, der griechische Gott des Windes. Er soll auf einer der Inseln residiert und dort Odysseus bewirtet haben. Er schenkte dem griechischen Seefahrer einen Lederschlauch mit den Winden aus allen Richtungen ausser dem Westwind. Leider hielt sich Odysseus nicht an die Vorgabe, den Schlauch geschlossen zu halten. Alle Winde entwichen und trieben Odysseus statt nach Hause wieder zurück zu Äolus, welcher ihm – nun derart beleidigt – nicht mehr helfen wollte 🙁 . Wind hat Äolus jedoch wirklich genug hinterlassen. „Wind im Haar“ könnte hier geboren sein. Noch präsenter ist der römische Gott Vulcanus – sind doch alle sieben Inseln vulkanischen Ursprungs, was das Ergebnis tektonischer Verschiebungen, konkret des Zusammenstossens der afrikanischen mit der eurasischen Kontinentalplatte ist. Unter der Meeresoberfläche schlummern noch viel mehr Vulkane und machen die Schifffahrt anspruchsvoll. Auch eine weitere bewegte Zeit hat die Inseln und ihre Bewohner geprägt. Dem Festland vorgelagerte Inseln waren immer wieder der Piraterie ausgesetzt. So überfiel bspw. Barbarossa im 16. Jahrhundert die Stadt Lipari, zerstörte sie vollständig und verschleppte die gesamte Bevölkerung von 10’000 Personen als Sklaven. Aber auch die Lipari selber betätigten sich immer mal wieder als Piraten, teilweise legitimiert unter Kaiser Karl V. Ein wildes Völkchen also.
Lipari, die lebendige, fröhliche Hauptinsel. Hier liegt unser Hauptquartier; sie ist Dreh- und Angelpunkt der ganzen Reise. Schnell wird klar: Mein Lieblingsort ist der kleine Hafen (Marina Corta), quirlige Drehscheibe für Einheimische und Touristen. Hier gönne ich mir jeden Morgen einen feinen Cappuccino und ein herrlich duftendes, warmes Brioche. Das typisch italienische Hotelfrühstück mit schrecklichem Kaffee und keinem Brot, das diesen Namen verdienen würde, lasse ich schnöde aus. Das Städtchen trumpft mit zwei parallelen Einkaufsstrassen, wo man zum Glück vergeblich bekannte Ladenketten sucht. Dafür reihen sich viele kleine sympathische Boutiquen aneinander, welche in bunter Harmonie Artikel des täglichen Bedarfes, Souvenirs, Schmuck, Kleidung und Essen verkaufen. Dazwischen liegen zahlreiche Restaurants und Bars und laden zum Schmaus ein.
Zwei Wanderungen machen wir auf Lipari. Die erste Tour ist zum Anwärmen – heiss ist es an diesem Tag – und führt um die Südspitze, am Observatorium vorbei, über den Monte Guardia (369 müM) und durch kultivierte Gegend zurück ins Städtchen. Auf dem Rückweg besichtigen wir eine Kapern-Produktion. Im Familienbetrieb ist man stolz auf den erfolgreichen Anbau, die Verarbeitung und Vermarktung der Kapern in Bioqualität https://www.capersud.it/de/home-page-de/ (unbezahlte, unbestellte Werbung). Wir lernen: Kapern, wie wir sie kennen, sind eigentlich die Knospen der Blüte. Hingegen sind die Kapernäpfel mit Stiel die Früchte der Pflanze nach dem Verblühen. Jede einzelne Kaper wird von Hand vom stacheligen Strauch gezogen – nicht jedermanns Sache. Während wir zu Hause meistens Kapern eingelegt in Essig oder Öl essen, wird hier die Kaper nach alter Methode mit Salz haltbar gemacht. Also vor Gebrauch immer gut und lange wässern, sonst wird das Gericht ungeniessbar 😉 .
Die zweite Wanderung auf der Insel Lipari führt uns in den Norden auf den Monte Pilato. Der Weg ist abenteuerlich, da sehr stark ausgewaschen und teilweise eingebrochen. Konzentration ist geboten. Beim Abstieg finden wir uns auf halber Höhe völlig unerwartet auf einem Kirchplatz mitten in einem Fest. Es wird getanzt, gelacht und gegessen. Wir werden sofort eingeladen, mitzumachen. Klar wagen wir ein kleines Tänzchen, auch mit Wanderschuhen. Wieder unten angekommen stürzen sich zwei toughe Mitglieder der Gruppe ins kalte Meer, während wir anderen uns in sicherem Abstand eine Granita als Belohnung gönnen.
Alicudi – wo die Zeit stehen geblieben ist. Keine Strassen, keine Autos – wo gibt es denn sowas noch! Über die äusserst steile, bewohnte Bergflanke zieht sich ein Netz von Treppen, sorgfältig mit Steinen gepflastert. Alles, aber auch wirklich alles muss über diese Treppen zu den Häusern getragen werden. Das übernehmen geduldige Maultiere. Esswaren, Wasser, Baumaterial, Möbel, Stroh, Abfall und vieles mehr wird von den starken Tieren die Treppen hinauf und hinunter befördert. Das Wasserschiff ankert am Tag unseres Besuches im Hafen. Das Versorgungsschiff mit Lebensmitteln ist jedoch nicht wie angekündigt gekommen. Damit muss man leben. Knapp hundert Leute wohnen hier – erstaunlicherweise auch jüngere. AussteigerInnen und KünstlerInnen haben dieses kleine Fleckchen Erde für sich entdeckt und nehmen dafür ein beschwerliches, einfaches Leben in Kauf. Wir wandern nur kurz auf den gepflasterten Treppen und geniessen die Aussicht von den parallel zum Hang verlaufenden Wegen.
Filicudi – eine spektakuläre Anreise. Schon von weitem sticht einem „La Canna“ ins Auge, eine vorgelagerte Felsnadel im Meer. Dieser riesengrosse Phallus erschlägt den arglos Vorbeifahrenden beinahe mit seiner Mächtigkeit. Nun ja…… jedenfalls zieht die „Felsformation“ mit 71 m Höhe Extremkletterer aus aller Welt an. Kurz bevor wir die Insel erreichen, entzückt uns eine grosse Delphin-Familie mit an die zwanzig Tieren. Sie begleiten unser Schiff, schwimmen in der Bugwelle, springen dekorativ neben uns. Ein magischer Moment. Die Wanderung auf der Insel ist kurz, folgt den alten Maultierwegen. Die Siedlung aus der Bronzezeit passieren wir ohne Besichtigung. Da Alicudi und Filicudi am weitesten weg von Lipari liegen, prägen die Schifffahrten den heutigen Tag. Die „Dolce Vita“ mit ihrer liebenswürdigen Besatzung führt uns sicher durchs tyrrhenische Meer. Auf dem Heimweg wird ein einheimischer Süsswein, der „Malvasia“ ausgeschenkt. Dieses Ritual wird zu unserer Freude die ganze Woche weiter gepflegt.
Salina – grosser Vulkan-Busen mitten im Meer. Die Zwillingsvulkane sind von weit her sichtbar. Beide sind perfekt geformt, rund 900 Meter hoch und schon lange erloschen. Die Anfahrt mit dem Schiff ist kurz, aber der dramatische Himmel und das gekräuselte Wasser verheissen nichts Gutes. Wir nehmen uns den Monta Fossa vor, 962 Meter hoch. Erst mal freuen wir uns, dass bei der Ortschaft Leni die ersten dreihundert Höhenmeter vom Bus übernommen werden. Und wieder bietet sich ein wunderbarer Ausblick über die liparische Inselwelt – allerdings auch auf die schnell heranziehende Regenfront. Was soll’s. Ein richtiger Wanderer ist wasserfest und behält auch bei widrigen Umständen seine gute Laune. Allerdings ist die ganze Gruppe beim deftigen Aufstieg deutlich wortkarger als sonst. Die Insel ist sehr fruchtbar. Gute Böden und genügend Feuchtigkeit sorgen für eine üppige Vegetation. Es wird allerlei angebaut. Auch Reben fühlen sich hier wohl. Der Malvasia ist wohl das bekannteste Produkt von Salina. Der Monte Fossa ist dicht bewaldet, Resultat jahrelanger Aufforstungen. Leider ist auch gerade ein etwas ungemütlicher Geselle auf den Bäumen unterwegs, der Prozessionsspinner. Diese Raupen verfügen über giftige Härchen und sollten deshalb keineswegs berührt werden, ansonsten drohen allergische Reaktionen https://www.rnd.de/wissen/eichenprozessionsspinner-warum-sind-sie-so-gefahrlich-und-wie-erkennt-man-sie-JGCKGT6THZGNVAXEFK33AEDXNQ.html#:~:text=Eichenprozessionsspinner%3A%20Auch%20für%20den%20Menschen,oder%20einem%20allergischen%20Schock%20führen. Unsere Mittagspause noch vor dem Gipfel ist kurz und wir nehmen nach dem höchsten Punkt zügig den Abstieg nach Santa Marina Salina in Angriff. Unterdessen regnet es und der schmale Weg durch die urwaldmässige (und damit nasse) Vegetation ist steil und glitschig. Höchste Konzentration ist gefordert. Wie sich später herausstellt, bin ich an der Schulter mit einem Prozessionsspinner in Berührung gekommen. Als Andenken trage ich einen üblen Ausschlag mit Pusteln und elendem Juckreiz noch gute zwei Wochen mit mir herum. Wieder am Meer steuern wir nass und müde die nächste Bar an und gönnen uns eine riesige Portion Canoli , leckere Teigrollen mit cremiger Ricottafüllung https://www.einfachbacken.de/rezepte/cannoli-siciliani-schmeckt-wie-in-italien. Und schon ist die Welt wieder in Ordnung 😉
Stromboli – ein feuriger Vulkan wie aus dem Bilderbuch. Nach einem Regentag in Lipari, mit einer seeeehr nassen Stadtführung und einem interessanten Museumsbesuch geht es heute ans Eingemachte. Endlich! Die Besteigung eines aktiven Vulkans steht bevor. Der Stromboli fasziniert seit jeher die Menschen und seine spezielle Ausstrahlung beeindruckt auch mich. Eigentlich ist er riesige 3000 Meter hoch, jedoch sind nur gut 900 Meter davon oberhalb der Meeresoberfläche. Seit über 2300 Jahren ist er unermüdlich tätig und die Seefahrt bezeichnet ihn deshalb als das „Leuchtfeuer des tyrrhenischen Meers“. Rund vierhundert Menschen wohnen auf der Insel. Dazu kommen viele Feriendomizile. 1930 gab es einen grossen Ausbruch. In der Folge verliessen viel Einwohnerinnen und Einwohner die Insel. Erst mit dem Film des Regisseurs Roberto Rossellini „Stromboli, terra di Dio“ mit Ingrid Bergmann in der Hauptrolle wurde ab 1949 das touristische Interesse wieder geweckt. Im Jahr 2019 ereignete sich ein grösserer Ausbruch, der die Wanderwege und auch die Strasse nach Ginostra zerstörte. Seither war die Besteigung verboten, bis Ende April 2023. https://www.vulkane.net/vulkane/stromboli/stromboli.html.
Wir gehören anfangs Mai also zu den ersten, die wieder auf den Berg dürfen. Glück gehabt! Der Zugang ist aber stark reglementiert: nur mit einheimischem Führer, Helmpflicht und Zugang nur bis 400 müM. Trotzdem ist das Erlebnis unglaublich schön. Wir beginnen den zweistündigen Aufstieg abends um fünf Uhr und können den grandiosen, magischen Sonnenuntergang über dem Meer geniessen. Die Aussichtsplattform liegt direkt neben der ’sciara del fuoco‘, also der Flanke, auf welcher die Lavaströme bei grösseren Ausbrüchen ins Meer fliessen. Und der Stromboli enttäuscht uns nicht. Er raucht und poltert……und wirft feurige Lavasteine aus. Ein Spektakel erster Güte. Im Anschluss erfolgt der Abstieg im Dunkeln. Wie Glühwürmchen bewegen sich die verschiedenen Gruppen mit ihren Stirnlampen über den kurvigen Wanderweg. Dieses tolle Erlebnis auf dem Stromboli lässt auch die raue und lange Fahrt übers unruhige Meer schnell vergessen.
Vulcano – eine Herausforderung für die Nase. https://de.wikipedia.org/wiki/Vulcano . Die Überfahrt von Lipari ist sehr kurz. Deshalb gönnen wir uns eine Inselumrundung mit dem Schiff. Eine vorsichtige Annäherung an Vulcano ist eine gute Entscheidung. Erstmal schnuppern wir nur leicht am Schwefelgeruch. Mit der Anlandung gibt es dann für die Nase kein Entrinnen mehr. Sind wir hier direkt im Reich des Teufels gelandet? Tatsächlich glaubte man im Mittelalter, das Fauchen, Poltern und die Schwefelschwaden seien teuflischen Ursprunges und man könne die Schreie der Verdammten aus der Hölle hören – Wir können jedoch nichts Diabolisches feststellen – die Insel wirkt hell und freundlich – zumindest solange man nicht tief einatmet 😉 . Wir lungern erst mal eine Weile herum und besichtigen die nahen Schlammbäder, deren Zugang allerdings momentan gesperrt ist und staunen über die Fumarolen, die im Meer blubbern https://www.geothermie.de/bibliothek/lexikon-der-geothermie/f/fumarole.html#:~:text=Eine%20Fumarole%20(lat.,Tiefe%20nur%20wenig%20Wasser%20befindet. Der Aufstieg auf den Berg ist erst ab vier Uhr nachmittags erlaubt. Die unbedarften TouristInnen, die auch schon mal in Sandalen auf den vegetationslosen Vulkan steigen, sollen vor der unbarmherzigen Mittagshitze geschützt werden. Kurz vor vier stehen wir ungeduldig am Fusse des Berges – vor einer roten Ampel! So amüsant überreguliert kann nur Italien sein. Um vier Uhr wird es dann leider nicht grün (das ist auch Italien 😉 ), so dass wir braven SchweizerInnen uns doch noch illegal auf den Weg machen müssen. Dann habe ich ein tiefgreifendes Erlebnis: Mein Mobiltelefon ist von einer Sekunde zur anderen tot. Ausgerechnet bei der Besteigung des spektakulären, aktiven Vulkans. Keine Fotos!!!! Allerlei weitere Situationen schiessen mir durch den Kopf: Wie rufe ich zu Hause an, wenn ich die Nummern nur im Telefon gespeichert habe – wie checke ich Zugabfahrten auf der Heimreise und löse ein Billett – wer weckt mich am nächsten Morgen???? Alles Quatsch natürlich – es gibt immer Lösungen. Gottseidank kenne ich eine einzige Telefonnummer auswendig, nämlich die meines Göttergatten. So kann ich wenigstens erklären, warum ich nicht mehr erreichbar bin. Ich geniesse trotzdem die Besteigung des Vulcanos in vollen Zügen. Die Aussicht vom Gran Cratere ist atemberaubend (für einen kurzen Moment verfluche ich deshalb nochmals die Tücken der Technik). Die ganze Inselwelt und das nahe Sizilien liegen uns zu Füssen. Schwefelgelb ist die vorherrschende Farbe auf dem Berg. Überall rauchen (und stinken) die Fumarolen. Sehr eindrücklich. Die Unerschrockenen ohne Höhenangst wandern weiter um den Kraterrand bis zum höchsten Punkt. Unten wieder angekommen ist die Ampel dann übrigens doch noch auf grün gestellt 🙂 . Beim Nachtessen rät mir jemand, kurz die SIM-Karte rauszunehmen – und siehe da: Alles funktioniert wieder. Puuhhh!
Panarea – natürlich geblieben trotz Schickeria. Die kleinste der sieben Inseln beherbergt im Sommer oft illustre Gäste, welche die Ruhe hier schätzen. Das Örtchen San Pietro erstrahlt in frischem Weiss. Einige kleine Boutiquen bereiten sich auf die Sommergäste vor. Wir nehmen den direkten, steilen Aufstieg zum Punta del Corvo, 421 müM. Am Meer sind wir im heissen Sonnenschein losgewandert, auf dem Gipfel erwarten uns Nebelschwaden und ein kalter Wind. Der Abstieg erfolgt über die Flanke, durch wunderbare Blumenwiesen und an markigen Steinformationen vorbei. Kurze Rast bei der Punta Milazzese, dem archäologischen Fundort einer Siedlung aus der Zeit der Äolen. Auf dem Rückweg gönnen wir uns ein erfrischendes Bad im Meer, bevor wir zum Abschluss dieses schönen Wandertages eine Granita https://www.etna3340.com/de/blog/was-sehen-sizilien/sizilien-granita geniessen.
Fazit: Die Liparischen Inseln sind eine Reise wert. Jede der sieben Inseln hat ihren eigenen Charakter. Jede einzelne Wanderung war toll. Alle Menschen, denen wir begegnet sind waren offen, charmant und hilfsbereit. Das Essen ist wunderbar, ebenso der Wein und der Malvasia von Salina. Unsere Reiseleiterin Brigitte zeigte sich unheimlich flexibel, hatte die Organisation bestens im Griff und ihre gute Laune war einfach ansteckend. Eine gelungene Wanderwoche, die Lust auf mehr macht…….und Wind im Haar gab’s auch genug 😉