Via di Francesco – Woche 1
Die ersten vier Etappen: La Verna – Pieve Santo Stefano – Montagna – Citerna – Città di Castello – und zwei Ruhetage in Perugia
Erst mal gilt es vertraut zu werden mit der Wegführung, der Signalisation und mit dem GPS-Tracking. Dafür ist die erste kurze Etappe gut geeignet. Es geht durch Wälder und über Alpwiesen, die jetzt noch verlassen sind. Die Aussicht ins Land hinaus ist grandios und die 1000 Meter Abstieg nach Pieve Santo Stefano sind leichter zu bewältigen als gedacht. Die ersten Schritte sind gemacht, die Freude ist gross.
Und schon am zweiten Tag treffe ich auf eine herausfordernde Bergetappe. Es sind 900 Höhenmeter zu bewältigen – aber jetzt aufwärts. Von Serpentinen halten die italienischen Wegplaner wenig. Man kann schliesslich auch in direkter Linie aufsteigen 🥵. Erst muss der Passo Viamaggio erklommen werden. Schweissgebadet und etwas kurzatmig treffe ich dort auf die Passstrasse für die Autos und auf eine Bar. Und plötzlich fügt sich alles. Ich kann mich erholen, lasse mir ein grosses Sandwich machen, dessen Hälfte ich für später mitnehmen kann. Vor lauter Aufregung über die heutige Etappe habe ich nämlich meinen Tageslunch in der Minibar des Zimmers vergessen. Anfängerfehler. Frisch gestärkt folgt nun der Aufstieg auf den Monte Verdi – nicht mehr allzu viel Höhe, dafür teilweise seeeehr steil. Es geht in gerader Linie (natürlich!) in einer Feuerschneise fast senkrecht nach oben, so dass ich meine Hände gebrauchen muss. Oben braust ein heftiger Wind und zerrt am Rucksack. Das Wetter wird zunehmend unfreundlicher. Da es in letzter Zeit wohl einiges geregnet hat, ist der Weg glitschig und ich muss sehr matschige Stellen passieren. Ich gehe vorsichtig und konzentriert – hier möchte ich nicht mit einem verletzten Knöchel liegen bleiben. Meine Schuhe sehen am zweiten Tag schon aus, als wäre ich bereits wochenlang unterwegs. Den ganzen Tag begegne ich keiner Menschenseele. Dafür übernachte ich in einem sehr familiären B&B https://www.booking.com/hotel/it/b-amp-b-il-palazzo-sansepolcro.de.html (unbestellte, unbezahlte Werbung), mit perfekter Einrichtung zum selber Kochen und einem gemütlichen Aufenthaltsraum. Dort treffe ich eine kanadische Wandererin, welche durch ihre Tourorganisation ein Nachtessen vorbestellt hat. Die Gastgeberin des B&B kocht netterweise so viel, dass ich auch noch (gratis) mitessen kann. Freue mich über die unerwartete, feine Mahlzeit. Und was ich später immer wieder erlebe: Auch wenn die Unterkunft eigentlich nur Frühstück anbietet, gibt es auf Nachfrage oft doch die Möglichkeit, eine warme Mahlzeit zu erhalten oder die Gastgeber bieten an, einem zum nächsten Restaurant zu chauffieren. Die italienische Gastfreundschaft, aber auch die Spontanität und Flexibilität sind unschlagbar.
Die Wanderung führt nun gemütlich ins Tal hinunter nach Sansepolcro. Heute wieder schönster Sonnenschein und es wird schnell heiss. Ich lese jeweils am Abend in meinem Tourenbuch die Informationen zur Route vom nächsten Tag. Für heute heisst es, dass man ein Stück Strasse eventuell auch mit dem Taxi überwinden könnte. Nein, nein, ich nehme doch nicht am dritten Tag schon das Taxi!!!….. Hätte ich mal besser auf mein Buch gehört! Zuerst führt die Strecke einer Ausfallstrasse mit viel Lastwagenverkehr entlang, dann über Ein- und Ausfahrt der Autobahn, alles mehr oder weniger ungeregelt für die Fussgänger. Ich überquere diverse Strassen wie ein aufgescheuchtes Huhn. Schlussendlich wird es ruhiger, geht dafür aber einige Kilometer durch ein langweiliges Industriegebiet. Tja, selber schuld.
In Gricignano fährt mir ein älterer Herr auf dem Fahrrad nach und stoppt mich. Sie hätten hier eine Sehenswürdigkeit, die er mir gerne zeigen würde. Tatsächlich gibt es ein kleines Museum, in welchem die Schauplätze der Osterpassion mit Figuren, Häusern, Bergen, usw. aufgebaut sind. Er löscht das Licht und schon beginnt ein Licht- und Tonspiel, das die Ostergeschichte erzählt – ganz für mich allein. Etwas hausbacken, aber authentisch und herzig.
Nun zum Schluss noch ein heftiger Aufstieg ins Städtchen Citerna https://www.umbriatourism.it/de/citerna, wo ich im Kloster https://benedettineciterna.wordpress.com/comunita/ospitalita/ übernachte. Ich bin überrascht über das schöne Zimmer – mit Dusche und WC. Es wird ein einfaches Nachtessen und ein Frühstück serviert – der ganze Aufenthalt gegen eine Spende – jeder gibt soviel er kann/will, putzt aber sein Bad selber. Leider erfährt man wenig über das Leben der sieben Benediktiner-Klosterfrauen. Es ist nur die Teilnahme an der Vesperfeier in der kleinen Kirche möglich. Ich treffe eine nette neuseeländische Familie und muss an diesem Abend sämtliche meiner Kleider übereinander anziehen – die alten Gemäuer sind eiskalt.
Der nächste Morgen beginnt mit einem Highlight bereits im Städtchen Citerna. Der ehemalige Pfarrer der Kirche zeigt mir in einer Privatführung engagiert und in italienischer Sprache (uff!) einen wirklich wertvollen Schatz. Seit Jahr und Tag stand in der Kirche eine Statue der Maria mit Kind, wie man sie vielerorts findet. Eine Kunststudentin erkannte jedoch, dass Hände und Füsse von einem Meister gemacht sein müssten. Und tatsächlich: In sorgfältiger siebenjähriger Renovation trug man Schicht um Schicht der Farbe ab und zum Vorschein kam eine wunderbare Skulptur des Künstlers Donatello aus dem 15. Jahrhundert http://donatelloaciterna.it/it/index.php. Heute steht die Statue wieder in der Kirche San Francesco in Citerna, in einem kleinen Nebenraum und kann im wahrsten Sinne des Wortes hautnah besichtigt werden.
Endlich bin ich inzwischen in Umbrien angekommen. Darauf habe ich mich gefreut. Und ich kann heute gleich über drei umbrische Hügel wandern bis nach Città di Castello https://www.umbriatourism.it/de/citta-di-castello. Herrlich! Wenngleich ich etwas murre (….ich rede nicht nur mit den Vögeln, sondern auch mit mir selber…..😂) über die weiterhin direkte und steile Wegführung.
Mein Körper schmerzt nach diesen vier Etappen an allerlei Stellen und beim gemütlichen Apéro beschliesse ich, mit dem Bus nach Perugia zu fahren und dort das Wochenende zu verbringen.
Genusswochenende in Perugia
Grosses Spektakel beim Betreten der Stadt! Ich komme beim Bahnhof Sant‘ Anna an, der im unteren, neuen Teil der Stadt liegt. Die müden Pilgerfüsse können hier umsteigen auf eine Rolltreppe, welche in die historische Altstadt hinaufführt. Aber damit beginnt das Abenteuer erst. Man lässt sich nämlich durch die grossartige Rocca Paolina fahren und kommt aus dem Staunen nicht heraus.
Die Rocca Paolina https://de.wikipedia.org/wiki/Rocca_Paolina wurde von Papst Paul III im 15. Jahrhundert errichtet. Um seine Macht zu demonstrieren gegenüber der nicht gefügigen Stadt, baute er eine riesige Festung und zwar im unteren Teil direkt auf die Häuser der aufrührerischen Familie Baglioni. Um Steine zum Bau der Rocca zu gewinnen, wurde das Dorf Santa Giuliana vollständig abgerissen. Drei Jahrhunderte später wurden dann grosse Teile dieses Baus wieder zurückgebaut. Nur das Untergeschoss mit den Strukturen der alten Häuser der Baglionis blieb bestehen, jetzt sozusagen eine unterirdische Stadt.
Und mitten durch diese Katakomben fährt die Rolltreppe. Immer wieder entdeckt man raffiniert ausgeleuchtete Räume, es wurden Kunstwerke platziert und es gibt manchmal auch Konzerte. Gestern in Città di Castello habe ich eine Ausstellung von Alberto Burri https://www.wikiart.org/de/alberto-burri besucht und heute fahre ich auf der Rolltreppe an einer seiner riesigen Skulpturen vorbei. Ich bin begeistert.
Perugia https://de.wikipedia.org/wiki/Perugia zelebriert sich mit Bauten und Kunstschätzen, die aus der Zeit der Etrusker über alle Epochen bis zur Neuzeit reichen. Eine charmante Stadt zum Flanieren, Geniessen…..und Ausruhen. Die Kunstausstellung „Das Rätsel des Meisters von San Francesco“ https://artsupp.com/de/perugia/ausstellungen/l-enigma-del-maestro-di-san-francesco-lo-stil-novo-del-duecento-umbro-gnu-galleria-nazionale-dell-umbria, die zu Ehren des 800. Jahres seit der Stigmatisierung von San Francesco gezeigt wird, muss ich selbstredend besuchen. Sehr sehenswert.
Das wunderbare Wochenende hat mir gut getan. Mein Körper hat sich erholt, die Seele ist aufgetankt mit kostbaren Eindrücken und die Kleider sind wieder sauber gewaschen. Ich bin bereit für die nächsten Etappen.