Via di Francesco – Woche 3

Die letzten sechs Etappen Macenano – Marmore – (Terni, Ruhetag) – Poggio Bustone – Rieti – Poggio San Lorenzo – Ponticelli – Monterotondo – (Monte Sacro)

Ich brauche dringend einen Ruhetag! So viele Eindrücke müssen erst mal verdaut werden und der Körper spürt die Strapazen der letzten sieben Etappen. Ich gehe also heute nur noch leichte, flache achtzehn Kilometer dem Flüsschen Nera entlang nach Marmore und nehme von dort den Bus nach Terni.

Etappenziel sind heute die Wasserfälle von Marmore https://de.wikipedia.org/wiki/Cascata_delle_Marmore. Das benachbarte und höher gelegene Tal von Rieti war ursprünglich ein durch den Fluss Velino gespiesenes Sumpfgebiet. Bereits zu Römerzeit begann man die Sümpfe trockenzulegen und das Wasser zu kanalisieren. Es entstand ein gross angelegtes System, bei dem das Wasser über drei Kaskaden ins Tal der Nera geleitet und durch den See von Piediluco reguliert und zur Energienutzung gebraucht wird. Die Stadt Terni ist seither deutlich besser vor Überschwemmungen geschützt. Die mächtigen Wassermassen, die über drei Stufen von insgesamt 165 Metern zu Tale donnern, sind heute ein grosser Touristenmagnet. Auf verschiedenen Wegen kommt man sehr nahe an die Wasserfälle. Die Schleusen werden bei hohem Touristenaufkommen extra geöffnet und der Sprühnebel legt sich über die ganze Umgebung. Ich begnüge mich mit einem Blick von weitem – ohne Eintritt zu bezahlen und eine Regenpellerine zu kaufen 😉 .

Wie konnte ich mir nur die Stadt Terni für den Ruhetag aussuchen?! Bei Ankunft auf dem Busbahnhof lande ich in einem sehr hässlichen und heruntergekommenen Quartier. Ich navigiere zum ‚historischen Zentrum‘ – leider dasselbe Bild….. Das werden lange eineinhalb Tage!… Die zweitgrösste Stadt Umbriens ist geprägt von viel Verkehr und ungepflegten Häuserzeilen. Mein kleines Appartement liegt jedoch an einem hübschen Platz mit einem netten Café und mit Blick auf die Kirche San Francesco – also durchaus passend. Von hier aus erkunde ich die Stadt und finde doch noch einige sehr interessante Ecken. Es wird gelebt hier und gearbeitet, von Touristen ist wenig zu spüren. So reihe ich mich ins Alltagsgeschehen ein und lasse mir in einem kleinen Salon die Haare schneiden, esse in einem gemütlichen Lokal mit sehr persönlicher Bedienung und besuche zwei einfach gehaltene Kirchen, die an einem gewöhnlichen Nachmittag erstaunlich gut besucht sind mit Betenden. Die Wäsche ist auch bald wieder sauber gewaschen (Waschmaschine im Appartement – super) und es bleibt Zeit, den Abend auf einem belebten Platz ausklingen zu lassen. Fazit: Ein Ruhetag in Terni ist doch nicht so schlecht!

Gut ausgeruht und voller Vorfreude auf die nächsten Etappen fahre ich frühmorgens mit dem Bus zum Lago di Piediluco https://www.umbriatourism.it/de/-/rowing-in-piediluco , wo ich wieder in die Route einsteige. Dieser malerische See wurde als nationales Trainingszentrum für die italienischen Ruderer ausgebaut. Es gibt aber auch für FreizeitsportlerInnen und SchwimmerInnen allerlei schöne Plätze.

Kurz nach dem Ende des Sees verlasse ich Umbrien und gehe für den Rest meiner Wanderung durch die Provinz Lazio. Der Weg heute führt ins Tal von Rieti. Das heisst wieder mal, Überquerung eines Passes – diesmal mit einem Aufstieg von rund 1000 Höhenmetern auf einer Strecke von 24 Kilometern. Nun, ich bin ja ausgeruht……Alles gut, ich freue mich am schönen Wetter und erreiche locker den äusserst steilen Schlussanstieg. Leider werde ich genau da von zwei sehr grossen Hirtenhunden entdeckt, die eine Schafherde bewachen. Die beiden rasen so schnell sie können (es geht auch für sie bergauf…und sie haben eigentlich nicht die Figur von Sprintern…) und laut bellend auf mich zu. Oha, nicht gut….Ihr glaubt nicht, wie schnell Priska auf dieser steilen Strasse (18%???) aufwärts joggen kann…..😂. Mein Ziel ist ein kleines Wäldchen, in der Hoffnung, dann aus dem Blickfeld der beiden Hunde zu kommen. Und tatsächlich, sobald sie mich nicht mehr sehen können, ist ihr Job getan und sie kehren um. Uff! Danach brauche ich dringend eine Atem- und Essenspause. Kaum beginnt der Abstieg vom Pass, werde ich lautlos von zwei weiteren Hunden überholt. Streuner? Ich bin mir nicht ganz sicher. Sie checken mich ab, ob hier etwas Essbares zu holen ist, bleiben dabei freundlich. Auf den nächsten zwei Kilometern begleiten mich die beiden – verschwinden im Wald, tauchen lautlos wieder auf, mal von vorne, mal seitlich, immer im Jagdmodus, mit der Nase am Boden. Sie sind es jedenfalls gewohnt, sich sicher im Wald zu bewegen. So plötzlich wie sie aufgetaucht sind, verschwinden sie auch wieder. Von Wanderern vor mir habe ich später erfahren, dass sie von den beiden rund zwei Stunden lang begleitet worden sind. Mein Bedarf an Hundebegegnungen ist für heute jedenfalls gedeckt. Müde erreiche ich schliesslich Poggio Bustone, ein kleines, an den Berg geklebtes Dorf mit fabelhafter Aussicht auf das Tal von Rieti. Überraschenderweise gibt es ein winziges Gourmetrestaurant (vier Tische) im Dorf und weil heute mein Geburtstag ist, esse ich mich durch ein ganzes Menu, das wunderbar schmeckt. Die einzigen weiteren Gäste – welch schöner Zufall – sind ein Schweizer Ehepaar, das ebenfalls auf der Via di Francesco wandert. So wird der Abend gemütlich und gesellig.

Aussicht ins Tal von Rieti

Der Weg führt nicht direkt nach Rieti – sonst wäre ich wohl in zwei Stunden schon dort. Stattdessen geht es auf und ab durch eine Hügelkette an einigen Wirkungsstätten des heiligen Franziskus vorbei https://www.rietinature.it/de/luoghi/santuari/santuario-la-foresta/ . Leider muss ich auch viele Bauernhöfe passieren – das bedeutet Hundebegegnungen satt. Zum einzigen Mal auf der ganzen Wanderung mache ich deshalb etwas genervt einen kleinen Umweg und finde ein ruhiges Strässchen, parallel zu meinem ursprünglichen Weg. Auf Trottoirs und Velowegen durch die Vorstadt von Rieti ist es etwas zäh, insbesondere, da es jetzt zu regnen beginnt. Die Altstadt ist klein und nur mässig attraktiv. Immerhin findet man hier den geografischen Mittelpunkt Italiens. Ich esse fein in einem kleinen Lokal. Es gibt keine Speisekarte, der Kellner zählt die zwei Varianten für Primi und Secondi auf, dann wird aufgetischt. Herrlich – das mag ich sehr.

Die Wegvariante über Greccio https://franziskaner.net/greccio/ wirkt sehr interessant, passt aber nicht optimal zu meinem Zeitplan. Also: Mut zur Lücke! Man muss ja noch Ziele haben für den nächsten Besuch. Mein heutiger Etappenort soll deshalb Poggio San Lorenzo sein. Gleich zu Beginn passiere ich die 100 Kilometer Marke, d.h., das Ziel Rom wird greifbar. 100 Kilometer sind die magische Grenze, die es zu Fuss zu pilgern gilt, damit man ein Pilgerzertifikat erhält. Der erste Teil des Weges führt dem Flüsschen Turano entlang, parallel zu einer vielbefahrenen Strasse. Es handelt sich um die alte Salzstrasse (Via Salaria) https://de.wikipedia.org/wiki/Via_Salaria#:~:text=Die%20Via%20Salaria%20ist%20eine,in%20das%20italienische%20Fernstraßennetz%20eingebunden. , die seit der Zeit der Etrusker von der Adriaküste bis nach Rom führt. Bevor es wieder in die Hügel geht, überquert man einen Bach über eine gut erhaltene römische Brücke. In der Ferne entdecke ich die frisch verschneiten Berge. Sportlich gesehen ist das heute eine sehr lockere Etappe. Ich nächtige in einem Agriturismo, mit Restaurant, Garten und Pool. Beim Nachtessen werde ich spontan von einem netten Ehepaar aus Düsseldorf an den Tisch eingeladen und so wird das ein kurzweiliger Abend. Das für italienische Verhältnisse aussergewöhnlich üppige Frühstück am nächsten Morgen ist zusätzlich eine schöne Überraschung.

Als nächstes folgt eine wunderbare Berg-und-Tal-Etappe. Es geht ständig auf und ab, die Steigungen sind allerdings gut zu meistern. Es bleibt Zeit und Musse, um die in der Zwischenzeit üppig frühlingshafte Natur zu geniessen und die kleinen Dörfer auf den Hügelspitzen zu bewundern. Um die Mittagszeit hole ich das Schweizer Ehepaar (getroffen in Poggio Bustone) ein und wir gehen gemeinsam weiter. Der Weg führt nun durch ausgedehnte Olivenhaine und ich erfahre vom Mitwanderer Interessantes rund um die Olivenbäume. Kurz vor dem heutigen Ziel Ponticelli verdüstert sich der Himmel und es beginnt zu regnen. Gut sind wir grad bei einem Friedhof, wo wir unter Dach die Regenkleider montieren können. Zufällig haben wir im Dorf im selben Haus je ein Appartement gebucht. Wir steuern aber erst mal die Bar an (es schüttet unterdessen wie aus Kübeln 🙁 ) und benachrichtigen die Vermieterin, dass wir da sind. Im Haus ist es unangenehm kalt, so dass wir die minimalistischen Heizkörper aufdrehen. Als dann noch alle duschen und Tee kochen, ist das elektrische System komplett überfordert und der Strom fällt in beiden Wohnungen aus. Die Vermieterin muss nochmals kommen und zeigen, wo die Hauptsicherung zu finden ist. Meine Beschäftigung ist nun an diesem Abend und am nächsten Morgen rauszurennen und den Sicherungsschalter zu kippen, sobald in den beiden Wohnungen ein Gerät zuviel an den Strom angeschlossen wird. Das einzige Restaurant im Dorf ist an diesem Samstagabend voll ausgebucht. Es wird uns aber Pizza zum Mitnehmen gebacken und wir machen uns alle miteinander einen gemütlichen Abend.

Endspurt! Übermütig geworden durch die immer flacher werdenden Hügel nehme ich mir heute gleich zwei Etappen vor. Zusammen sollte das etwa dreissig Kilometer ergeben. Der erste Teil bis Montelibretti führt durch eine gepflegte und bewirtschaftete, ländliche Gegend. Die Nähe zu Rom wird spürbar. Zahlreiche Sonntagsspaziergänger und Jogger sind unterwegs. Einige suchen am Wegesrand nach wildem Spargel. Es ist warm und sonnig, meine Laune deshalb bestens.

Es wird schnell urbaner. Das bringt leider auch Autobahnüberquerungen, Schnellstrassen, Industriegebiete, Abfall am Wegrand……und einen McDonalds…. Die Zivilisation hat mich wieder. Ich erreiche Monterotondo, welches bereits zum Einzugsgebiet der Grossregion Rom gehört. Von hier aus will ich ein Taxi nehmen bis Monte Sacro, welches am Rande des Stadtgebietes von Rom liegt. Daraus wird aber nichts. Kein Taxi will die Fahrt übernehmen. Es scheint, als würde die Stadtgrenze ein magisches Hindernis darstellen (oder ein italienisch-bürokratisches….). Es bleibt mir nichts anderes übrig, als zum Bahnhof weit ausserhalb der Stadt zu laufen und dort den Zug zu nehmen. Danach sind es noch weitere zwei Kilometer bis zum Hotel. Insgesamt bin ich heute 36 Kilometer gelaufen. Ich bin richtig müde, freue mich aber riesig, dass ich morgen den Petersplatz erreichen werde.

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