Alle Wege führen nach Rom

Fast 500’000 Wege nach Rom soll es geben https://www.zeit.de/zett/2015-12/nicht-alle-wege-fuehren-nach-rom-aber-viele# . Pilgerwege sind es vor allem zwei wichtige: Die Via Francigena https://via-francigena.com , auf der man von England durch ganz Europa nach Rom wandern kann und die Via di Francesco https://www.viadifrancesco.it/de/ , die mit Varianten von Florenz nach Rom führt und im Wesentlichen den Wirkungsstätten des heiligen Franziskus von Assisi folgt.

Beide Wege haben eines gemeinsam: Sie enden im Petersdom, beim Grab des heiligen Petrus. Die Schlüssel Petris, das Attribut des Apostels und der nach ihm folgenden Päpste, haben mich als Symbol auf den Wegweisern bereits durch ganz Lazio begleitet.

Ich starte also auf dem Monte Sacro meine allerletzte Etappe. Zum letzten Mal den Rucksack ordentlich zum Laufen packen! Die Route führt fünfzehn Kilometer dem grünen Ring der Stadt entlang und biegt dann in den Vatikan ein. Bereits in der ersten halben Stunde treffe ich auf zwei deutsche Wanderer und wir gehen den restlichen Teil miteinander. Es ist ganz schön, mit Gleichgesinnten diesen speziellen Moment zu teilen. Der Himmel gibt noch einmal alles an Theatralik, was nur möglich ist. Das gefällt mir.

Und dann stehe ich auf dem Petersplatz – der leider völlig unprätentiös mit hunderten von Plastikstühlen bestückt ist. Egal – ich bin da. Und das ist ein gutes Gefühl. Die Strapazen der letzten Tage und Wochen sind nebensächlich – das Ziel ist erreicht!

Tausende andere sind auch da. Deshalb bilden sich lange Schlangen vor dem Eingang des Petersdoms. Gut, dass man als Fusspilger einen anderen Eingang benutzen darf. Als erstes gibt es Sicherheitskontrollen wie auf dem Flughafen. Alles muss durch den Scanner. Ein Sicherheitsbeamter fragt uns drei Rucksackpilger, ob wir ein Messer dabei haben. Nun, das Schweizer Taschenmesser ist natürlich immer mit dabei. Ich darf es leider nicht einfach deponieren und später wieder abholen (warum eigentlich nicht?), sondern muss es zurücklassen, ansonsten dürfte ich nicht weiter. Diskussion ist zwecklos. Und so erhält mein Messer einen neuen Besitzer, einen ärmlich gekleideten Mann, der in der Nähe am Boden sitzt. Ich gönne es ihm. Als nächstes bekommen wir unseren letzten Stempel und die Pilgerurkunden werden ausgestellt. Anhand der Stempel, die ich jeweils an den Etappenorten erhalten habe, wird geprüft, ob ich mindestens 100 Kilometer zu Fuss gegangen bin.

Ich gönne mir einen zusätzlichen Tag in Rom und ein kleines Boutique-Hotel mitten im Zentrum. Von hier aus sind alle Sehenswürdigkeiten zu Fuss erreichbar. Das passt. Ich will ja nicht aus der Übung kommen 😂. Kaum habe ich jedoch meinen Rucksack deponiert und bin als gewöhnlicher Stadttourist unterwegs, wird mir bewusst, dass ich in der Wanderkleidung doch eher ‚underdressed‘ daher komme. Speziell die verdreckten Wanderschuhe sind leicht fehl am Platz – bis es zu regnen beginnt – da bin ich dann doch wieder passend gekleidet und eindeutig im Vorteil gegenüber Sandalen und weissen Sneakers. Ich lasse mich durch die Stadt treiben, besuche Sehenswürdigkeiten, aber erkunde auch eher ruhige Quartiere. Mit den vielen TouristInnen fremdle ich etwas. Verschiedene Male und zu verschiedenen Tageszeiten besuche ich meinen Lieblingsplatz, die Piazza Navona. Die Atmosphäre dort berührt mich immer wieder aufs Neue.

Heimfahrt mit Rückblick

Der ‚Freccia Rossa‘, Italiens Hochgeschwindigkeitszug, braust mit 300 km/h nordwärts. Bereits habe ich mich mit dem grössten Bedauern vom heiss geliebten italienischen Kaffee verabschiedet, als ein Steward vorbeikommt und aus einer mobilen Kaffeemaschine einen wunderbaren Espresso serviert und das erst noch gratis. Wo gibt es denn sowas sonst noch auf der Welt? Viva Italia 🇮🇹!

Im Höchsttempo fliegen die umbrischen Hügel an mir vorbei. Nach 1,5 Stunden erreicht der Zug Florenz und hat somit meine Wanderstrecke in Nullkommanichts bewältigt. Unglaublich! Ich bin ja gar noch südlich von Florenz gestartet und brauchte zu Fuss für die Strecke nach Rom drei Wochen!!! Grund genug, um hier und jetzt mal über den Sinn des Weitwanderns zu reflektieren.

Für diese Wanderung stand ganz eindeutig die sportliche Herausforderung an erster Stelle. Meine Form hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich verbessert, so dass ich mir bewusst eine hügelige Strecke ausgesucht habe. Als ich die Via di Francesco entdeckt hatte, die durch die umbrischen Hügel führt, war ich sofort Feuer und Flamme. Umbrien steht schon lange auf meiner Wunschliste. Kurze Bedenken, zum ersten Mal auf einem Pilgerweg zu wandern, waren schnell vom Tisch. Es ist nicht der religiöse Aspekt, der mich antreibt, aber ich liebe die italienischen Kirchen mit ihrer ruhigen und würdevollen Atmosphäre, die Friedhöfe auf aller Welt sowieso und das Leben des heiligen Franziskus von Assisi schien mir auch ohne religiöse Verehrung äusserst interessant. Warum also nicht einmal Erfahrungen auf einem Pilgerweg sammeln? Ich versicherte mich, dass anfangs April die Saison auf dem Weg erst ganz am Anfang steht und ich nicht in der Kolonne wandern muss 🙈, aber trotzdem bereits genügend Unterkünfte geöffnet haben. Dann stand dem Vorhaben nichts mehr im Wege.

Und was habe ich gefunden? Wie gewünscht die sportliche Herausforderung. 450 Kilometer sind es geworden mit gut 10’000 Höhenmetern aufwärts. Das ging bestens und ich bin nur zwei bis dreimal nahe ans Limit gekommen, nie aber ganz. Dass ich mich auf meinen Körper verlassen kann, gibt ein gutes Gefühl. Ebenfalls hat sich mein Wunsch, tief in die umbrischen Hügel einzutauchen, erfüllt. Von denen gibt es wirklich mehr als genug und sie sind zwar anstrengend 😅, aber bezaubernd. Oft liegen kleine Orte malerisch zuoberst auf der Hügelspitze. Darunter erstrecken sich Olivenhaine, Weinberge und bunte Blumenwiesen. Umbrien begeistert mich mit seiner authentischen Schönheit – im Vergleich zur Toskana weniger herausgeputzt, aber doch gepflegt, weniger überlaufen, einfacher und mit äusserst gastfreundlichen Menschen. Der Tourismusverein gibt sich Mühe, die Provinz in einer moderaten Weise aufzuwerten https://www.umbriatourism.it/de/homepage . Klein und fein ist wohl die Devise – und ich hoffe, das bleibt noch lange so. Spannend war es natürlich auch, auf der Route zu laufen, die Franziskus vor 800 Jahren benutzt hat https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_von_Assisi. Er war oft auf Teilstrecken zwischen Assisi und Florenz oder Assisi und Rom unterwegs. Davon zeugen nicht nur die Beschreibungen und Geschichten in vielen Schriftstücken, sondern auch allerlei Denkmäler, Wegkreuze, Kirchen, Kloster und Einsiedeleien. Nachdem ich anfangs tagelang mutterseelenallein und abseits besiedelter Gebiete gewandert bin, kann ich die Verbundenheit von Franziskus mit der Natur und den Tieren sehr gut nachempfinden. Ein wunderbar tragendes Gefühl.

Nur Sport und Kultur als Antrieb fürs Weitwandern zu sehen, greift natürlich viel zu kurz. Für mich ist das Tempo entscheidend. „Die Seele geht zu Fuss“ sagt ein arabisches Sprichwort und trifft es damit ganz genau. Auf keine andere Art des Reisens erlebe ich ein Land und seine Menschen so intensiv und persönlich wie beim Wandern. Nie sehe ich so viele schöne, kleine Details am Wegesrand als mit einem Tempo von 4,5 km/h und ich erfreue mich an der Natur und an den Menschen, die mir begegnen. Das macht mich zufrieden, dankbar und glücklich.

Meistens bin ich auf den mehrtägigen Wanderungen alleine unterwegs, diesmal zum ersten Mal wirklich ganz alleine ohne meine treue Begleiterin Luna 🐾. Sie geniesst nun ihr Rentnerleben. Sie hat mir sehr gefehlt, aber ich gönne ihr natürlich die ruhigen Tage zu Hause.

Alleine zu wandern macht stark. Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wächst und die Erfahrung, dass es für jedes Problem stets eine Lösung gibt, macht Mut. Die eigene Komfortzone hin und wieder zu verlassen, bereichert einfach das Leben.

In diesem Sinne: Buon Cammino! 👣

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