Via di Francesco – Woche 2
Die nächsten sieben Etappen Gubbio – Tenuta Biscina – Valfabbricca – Assisi – Foligno- Poreta – Spoleto – Macenano
Gut gelaunt vom Ruhetag kehre ich nicht zu meinem Ausgangsort zurück, sondern überhüpfe grosszügig zwei Etappen und steige erst in Gubbio wieder in die Via di Francesco ein. Ich würde sonst einen ganzen weiteren Tag mit der Busfahrt verlieren und darauf habe ich keine Lust.
Kleiner Exkurs: Busfahren in Italien ist…..schwierig. Ausserhalb der Zentren ist die Fahrplandichte sehr mager und ganz auf die Bedürfnisse der SchülerInnen ausgerichtet. Es gibt also EINEN Bus morgens früh und dann wieder einen zurück nachmittags um drei. Anschlusslösungen gibt es selten, deshalb verliert man viel Zeit. Die meisten Busse sind pünktlich, aber ich erlebe auch, dass ein Bus vier Minuten zu früh durchfährt. Pech gehabt, wer punktgenau dasteht.
Selbst bei den grossen Busbahnhöfen ist in der Regel nichts angeschrieben. Man muss sich durchfragen, wann, wo, welcher Bus fährt; ich sehe es als gute Gelegenheiten, das Italienisch zu vertiefen 😎. Auch die Bushaltestellen unterwegs sind minimal mit einer neutralen Tafel signalisiert, niemals mit einem Ort oder Namen. In der App steht dann z.Bsp.: Fahre in Richtung xx und steige nach 74 Haltestellen aus. Richtige Witzbolde sind das!
In der Regel gilt „Halt auf Verlangen“. Die Passagiere rufen durch den Bus: „la prossima“ (die Nächste), dann hält der Chauffeur an. Da ich natürlich keine Ahnung habe, wann meine „prossima“ kommt, gebe ich dem Chauffeur Bescheid, wo ich raus will. Das klappt sehr gut, auch wenn die Chauffeure neben dem Fahren noch allerlei anderes machen, hauptsächlich lautstark telefonieren, aber auch rauchen oder mit Fahrgästen plaudern.
An diesem Montagmorgen klappt alles bestens mit dem Bus und meine Etappe führt mich wieder stetig aufwärts in die Hügel. Das Wetter ist gut geworden und rundum blühen Bäume und Blumen. Der Weg führt eine Weile gemütlich dem Hang entlang. Zweimal gilt es allerdings ein Seitental zu überqueren. Das heisst: Abstieg bis hinunter zum Bach und auf der anderen Seite wieder hinauf. Natürlich keine Serpentinen, sondern eine Wegführung in gerader steiler Linie. Ich übernachte in einem Agriturismo. Da ich die einzige bin, bleibt das Restaurant geschlossen 🙁 . Die junge Dame versichert mir aber, dass sie mir ein Nachtessen vorbeibringen wird. Und so habe ich mitten in den Bergen einen persönlichen Lieferservice. Mein Wanderbuch erzählt, dass San Francesco vor 800 Jahren in dieser Gegend von Räubern überfallen worden sei. Er floh ins nahegelegene Kloster, wo er nicht erkannt wurde und schwupps als Küchenjunge arbeiten musste. Der Abt habe sich Jahre später dafür entschuldigt. Nachts im Bett, alleine im weitläufigen, aber menschenleeren Agriturismo, nur mit den Rindern und Hühnern und mit dem heulenden Wind, der an den Läden rüttelt, schaudere ich dann doch etwas und hoffe, die Gegend ist in der Zwischenzeit zivilisierter geworden……..
Nach Valfabbrica führt ein herrlicher Panoramaweg mit Blick auf den Fluss Biscina und auf den dazugehörigen Stausee. Wiederum bin ich die letzten beiden Tage ganz alleine gelaufen. Es bleibt viel Zeit, um die Gedanken fliegen zu lassen und sich an der erwachenden Natur zu erfreuen. Ich geniesse es.
Bis nach Assisi ist es anderntags nur noch ein Katzensprung. Die fünfzehn Kilometer bewältige ich locker bis zum Mittag.
Assisi
Meine romantische Erinnerung an Assisi – ich war vor vierzig Jahren dort – kollidiert leider knallhart mit der touristischen Realität. Zur Mittagszeit ist Assisi ein lauter, kitschiger Schock. Hunderte BesucherInnen aus aller Welt tummeln sich in den Strassen, vor den Kirchen, in den Souvenirshops und in den Restaurants, wo das Menu mit Bildern angezeigt wird 🙄. Jugendliche sausen in Grossgruppen von einem Instagram-Hotspot zum nächsten. Damit sie nicht verloren gehen, tragen sie gleichfarbige Schals oder Käppis. Guides führen Gruppen von fünfzig Personen und mehr durch die Stadt – der Knopf im Ohr macht’s möglich. Ein babylonisches Sprachengewirr tönt durch die Gassen. Mir wird schwindlig und ich beschliesse, das alles erst mal bei einem Apéro auszusitzen, in der Hoffnung, dass die vielen Cars abends wieder abreisen. Und so ist es dann auch. Am Abend kehrt der Zauber von Assisi zurück, begleitet von wunderbar weichem Licht. Die magische Kraft des Ortes ist nun spürbar. Ich besuche den Pilgergottesdienst in der Kirche von San Francesco, grusle mich ein wenig vor dem Grab der Santa Chiara, sitze eine ganze Weile auf dem Mäuerchen mit dem unschlagbaren Blick ins Land hinaus, während das Licht weniger und weniger wird und lasse mich durch die nun völlig leeren Gassen treiben. Ich bin wieder versöhnt mit Assisi.
Es sind noch knapp 250 Kilometer nach Rom. Ich gehe jetzt neu auf der Südroute und muss mich an eine andere Navigation gewöhnen. Bereits nach Assisi treffe ich vermehrt auf Wanderer. Einerseits ist es in der Zwischenzeit Mitte April geworden und viele starten jetzt, andererseits wird die Südroute oft von Rom nach Assisi begangen, so dass mir die Wanderer entgegenkommen. Der wahre Franziskus-Pilger kennt eben als Ziel nur Assisi.
Die Etappe nach Foligno ist der reinste Genuss. Der Weg führt dem Hügel entlang mit Aussicht auf die Olivenhaine und Rebberge an den Hängen und ins Valle Umbra. Den Autobahnlärm muss man sich einfach wegdenken. Das Mittagessen geniesse ich im kleinen, hübschen Städtchen Spello.
Als nächstes ist eine richtige Berg-und-Talwanderung angesagt. Auf 25 Kilometern geht es ständig auf und ab, tendenziell insgesamt aufwärts. Weit über 700 Höhenmeter sind so zu bewältigen. Es ist jetzt zünftig heiss. Zum ersten Mal wird mein Trinkwasser knapp. Nun – ich habe mir die umbrischen Hügel gewünscht – und heute erhalte ich mehr als genug davon 🙂 . In der wunderbar gelegenen Stadt Trevi lasse ich mir in der Macelleria ein Sandwich machen und schaue im Schatten sitzend eine Weile dem bunten Markttreiben zu. In der kleinen Pension in Poreto stellt mir Gastgeber Lazaro zuerst mal eine kühle Flasche Wasser hin (uff, das war nötig!), während der Haushund Bruno vertrauensvoll seinen Kopf auf mein Knie legt. Ich teile mir das Badezimmer mit einem netten Wanderer aus Österreich, der in entgegengesetzter Richtung unterwegs ist. Auch diese Variante Unterkunft gibt es. Signora Rosa, die ein winziges Lebensmittelgeschäft gegenüber führt, bietet mir an, ein Nachtessen zu kochen. Mir reichen jedoch meine Vorräte – sonst muss ich die morgen nochmals mitschleppen 🙂
Nach Spoleto sind es nur noch 15 Kilometer, aber die sind zäh. Bald hat man die Talebene erreicht und dort herrschen heute 30 Grad im Schatten. Die Strecke zieht sich auf geteerten Strassen durch besiedeltes Gebiet und mehrmals unter der Schnellstrasse hindurch. Ich nächtige in einem Missionshaus und bin überrascht, wie professionell das Einchecken abgewickelt wird. Das Zimmer ist einfach, aber blitzsauber und mit allem versehen, was die Weitwandererin so braucht.
In Spoleto amüsiere ich mich. Ich nehme die Linie 3 der Rolltreppe (kein Witz) und fahre in zehn Minuten bis zum Dom, ganz zuoberst in der Stadt. Die Pilgerfüsse sagen „Danke“. Von zuoberst schlendere ich gemütlich durch die Altstadt wieder hinunter.
Beim Frühstück treffe ich drei Wanderer aus Deutschland und Österreich. Sie haben sich unterwegs kennengelernt und wandern jetzt zusammen. Gleich nach dem heutigen Start begegnen wir uns wieder und ich bin froh um eine gemeinsame Navigation. Das römische Aquädukt über den Fluss ist leider gesperrt und so muss ein Umweg über eine andere Brücke gegangen werden. Die Signalisation ist nicht ganz klar, aber gemeinsam finden wir den Einstieg wieder in die ordentliche Route. Wir plaudern über Gott und die Welt und so kommt es, dass wir die ganze Etappe miteinander laufen. Aus dem Valle Umbra geht es heute ins Tal des Flusses Nera. Das bedeutet 500 Höhenmeter steiler Aufstieg am Stück. Die Aussicht ins Gebirge und auf die andere Talseite entschädigt für die schweisstreibende Anstrengung. Wiederum ist es sehr heiss heute und wir lechzen nach einer Bar oder einem Restaurant. Schlussendlich passieren wir ein gut besuchtes Restaurant, wo man das sonntägliche Mittagessen geniesst. Alles voll besetzt! Netterweise wird uns aber ein kühles Getränk auf einem Bänkli etwas ausserhalb serviert. Das ist auch nötig, da wir nun noch knapp zwei Stunden dem Fluss entlang wandern müssen. Die drei Herren haben den ganzen Tag ein flottes Tempo drauf. Ich auch. Ich bin mir nicht ganz sicher, wer da wen antreibt…… Jedenfalls ist mein Ehrgeiz geweckt, um mitzuhalten. Auf den letzten Kilometern wird es ruhiger und ruhiger, niemand hat mehr Reserven für ein lockeres Gespräch. Ich bin froh, dass ich in Macenano einquartiert bin, während die Herren noch fünf Kilometer weiter müssen. Jetzt hilft nur noch eine grosse Pizza, bevor ich erschöpft ins Bett sinke.
Fantastischer Blick nach einem harten Aufstieg
Unterschätze nie die letzten fünf Kilometer!
Man denkt: Das ist heute aber gut gegangen/Ich bin ja praktisch schon da/Locker heute!………und dann kommt’s – und zwar in allerlei Formen: Bspw. ist der Anstieg zum Etappenziel brutal steil und heiss – irgendwo kommt noch ein aggressiver Hund um die Ecke – die letzte Passage führt durch Bach und Sumpf (und mit diesen Schuhen kommt man dann in der Unterkunft an) – das Trinkwasser ist ausgegangen – fünfzehn Minuten vor Ziel geht ein unangekündigter Platzregen nieder – der Weg in eine grössere Ortschaft zieht sich unendlich durch die Vororte und den Strassen entlang – oder der Hungerast schlägt zu und nirgendwo findet sich eine Gelegenheit, etwas dagegen zu tun. Aber Durchbeissen gehört auch zum Weitwandern, ebenso wie eine gehörige Portion Humor und Gelassenheit.